Spät gefunden und früh verloren

Spät gefunden und früh verloren

Die Sommermonate waren überfrachtet von Arbeit einerseits und bangem Warten auf Ergebnisse meines beauftragten Rechtsanwaltes in Wien. Die Auskünfte des hiesigen Notars waren sehr dürftig gewesen und die Beschaffung von Dokumenten, wenn überhaupt, geschah auch nur schleppend. Lediglich Geburtsurkunden von mir und von meiner Mutter hatte ich erhalten, auf die Frage nach der Sterbeurkunde meiner Mutter vertröstete er mich. Listigerweise, – war es das? -, hatte ich danach gefragt. Nur die Erbschaftssache war schnell erledigt gewesen. Ich hatte das Erbe angenommen und Mathildes Haus gehörte mir. Die Geischler Sophie gab sich auch weiterhin verschlossen, half mir allerdings auch fallweise im Haus aufzuräumen und auszumisten. Möbel stellten wir in einem unbenutzten Raum zusammen, da ich umfassende Arbeiten in Angriff nehmen wollte. Der Sepp, ihr Bruder, machte kleinere Ausbesserungsarbeiten, die nicht aufschiebbar waren. Für mein größeres Projekt, die Renovierung, mußte ich ihn nicht lange überzeugen. Er habe Handwerker an der Hand, mach’ ich…, so seine Worte. Der Baron hatte mir nun endgültig die gesamte Büroarbeit in der Sommersaison übertragen. Neben den alpinen Wanderungen, die ich durchführte, hatte ich zwei Bäuerinnen für zusätzliche Angebote gewinnen können. Die Ältere ging mit interessierten Gästen zum Kräutersammeln, die Jüngere bot einen Kochkurs an. Ich machte Werbung bei meinen Wandergästen und koordinierte die Gruppen zur Freude des Barons, der sich auf einer Erfolgswelle wähnte. Mir konnte es recht sein. Finanziell lohnte es sich, auch um die notwendigen Ausgaben für die Renovierung zu bestreiten. Ich wollte das Haus soweit herrichten, daß ich es als “urige” Ferienunterkunft anbieten könnte. Benötigtes Holz sollte ich vom Baron zu einem geringen Preis erhalten, der Sepp wollte sich um den Zuschnitt kümmern. Als die Planung für den ersten Bauabschnitt abgeschlossen, die Arbeiten vergeben und auch die Finanzierung gesichert waren, machte ich mich wieder auf zu meiner Mutter. Mit den Geburtsurkunden im Gepäck wollte ich mich endlich als Tochter im Heim zu erkennen geben. Es war Ende September geworden.

Grüß dich”, Fanni ergriff meine Hand und ich stolperte über die Stufen in den Flur ihres Hauses. “Freu’ mich, daß du mir wieder Gesellschaft leistest. Ist schon auch interessant deine G’schicht und ich hab mich auch umgehört. Hab’ auch so meine Leut, die ich fragen kann und du wirst staunen, – aber komm erst in die Stub’n. Ich mach uns an Kaffee, – runter vom Tisch, Tiger!” Dabei wischte sie mit einer Handbewegung in Richtung ihrer Katze. “Na komm”, lockte ich, doch sie sah mich aus ihren Augenschlitzen an. “Kennst mich nicht mehr, na du”, sagte ich und setzte mich auf die Ofenbank. Sie fand offensichtlich mein anbiederndes Geschwafel überflüsssig und nahm, in Katzenart, auf der Fensterbank Platz. Fanni brachte den Kaffee und einen Guglhupf mit Rosinen. Die Schlitzaugen der Katze weiteten sich, sie zeigte sich aber sonst eher gelangweilt. “Greif zu”, forderte mich Fanni auf und legte zwei Kuchenstücke auf meinen Teller. “Ich konnte über deine Schwester Christa einiges erfahren. Die Unterlagen zeig’ ich dir am Mittwoch, muß ja einiges dazu erklären”, sagte sie beiläufig und sah mich an, “freust dich gar nicht?” Mich überkam eine Starre und ich konnte nur schweigen. Ich füllte meinen Mund mit übergroßen Stücken Guglhupf. “Bist überrascht und mußt das erst alles verarbeiten”, meinte Fanni dann verständnisvoll. Ich nickte mehrfach und es dauerte eine Weile bis wir beide wieder ins Gespräch kamen.

Bei meinen zweiten Besuch im Heim konnte ich endlich den Verwalter sprechen und an Hand der Geburtsurkunden meine Identität klären. Er zeigte sich wenig überrrascht. “Meine Sekretärin wird ihre Daten aufnehmen, Adresse und so weiter. Wir haben auch einen Fragebogen, den Sie für uns bitte ausfüllen, damit wir im Todesfall wissen was und wie Sie’s möchten. Am besten sprechen Sie sich für diesen Fall mit ihrer Schwester ab”, dabei ließ er es bewenden, drückte meine Hand und verabschiedete sich. “Ich habe leider noch einen Termin…”, fügte er hinzu. Das “leider” war für mich nun aber wirklich nicht ehrlich gemeint, sondern ein Grund mich abzuwimmeln. Nun gut, ich erledigte bei der Sekretärin, die mich nach meinen Ausführungen mißtrauisch musterte, die aufgetragenen Auskünfte für die Akte meiner Mutter. Der anschließende Besuch bei ihr war erfreulicher, zumal Jörg auf mich zukam. Ich weihte ihn sogleich über die nun offizielle Tochterbeziehung ein. “Ich hab’ mich schon gewundert, wie gut und einfühlsam du mit ihr umgegangen bist. So gar nicht wie eine gute Bekannte, sondern – ja, wie eine Tochter. Schön find ich das”, versicherte er und drückte meine Hand. Das Wetter war an diesem Tag schon herbstlich mit Nebelschleiern und so hielten wir uns im Zimmer auf. Meine Mutter wirkte ruhig und abwesend, trippelte vor dem Fenster in kleinen Schritten auf und ab, so als wollte sie eine größere Schrittlänge vermeiden. Ich zog aus meiner Tasche eine gehäkelte Puppe heraus und hielt sie vor mich . Ein Fundstück aus jenem alten Koffer, den Mathilde einst verwahrt hatte. Die Puppe war aus vergilbtem Häkelgarn mit Augen aus dunklen, flachen Knöpfen. Der Mund war in rotem Garn aufgestickt. Das Kleidchen gemustert, vermutlich aus einer alten Schürze, mit einer kleinen Goldquaste und handgearbeiteten Spitzen am Ausschnitt. Haare fehlten. “Urschel, Urschel,…”, vernahm ich meine Mutter in einem emotionalen Ton, “Urschel-!” Sie nahm mir die Puppe, die nun plötzlich einen Namen hatte, aus der Hand und drückte sie ganz sanft. “Sie gehört dir”, sagte ich überflüssigerweise, denn die Zugehörigkeit war klar ersichtlich. Ich blieb noch eine kleine Weile, berichtete Jörg anschließend noch von “Urschel” und fuhr zurück zu Fanni. Heute wollte sie mir Genaueres von Christa berichten und ihre dazu verfaßten Unterlagen zeigen.

Fanni breitete einen Stoß von Papieren aus, die meisten handschriftlich von ihr beschrieben. “Paß auf”, meinte sie einführend und versuchte die losen Seiten zu ordnen. “Geboren wurde deine Schwester 1945 im Juni – jetzt find’ ich, – doch hier ist die Kopie, – am 22. Juni in Salzburg. Deine Mutter war im Arbeitslager, das wußten wir ja. Das Kind kam zu einer Frau in Kasern, die mehrere Kinder arischer Abstammung versorgte. Die Zeiten waren schlecht, der Krieg zu Ende und der Vater war dazumal in Haft, ein Nazi, – aber jetzt paß auf”, Fannis Stimme klang geheimnisvoll, ” der Vater deiner Schwester war ein Bruder deines Vaters, dein Onkel.” Ich starrte sie an und in meinen Kopf führten Gedanken in’s Chaos. Nie hatte Mathilde davon erzählt, nie hatte ich von diesem Mann gehört. “Ich glaub’ “, hörte ich Fanni weitersprechen,”er muß sie geliebt haben, schon früher und sie hatte sich für deinen Vater entschieden, wer weiß. Jedenfalls, – da bin ich mir fast sicher, war er es, der sie aus Wien hierher ins Lager geholt hatte. Ich mach’ uns jetzt einen Kaffee, mußt dich ja erst einmal fangen, stimmt’s ?”

Eine überraschende Verschlechterung im Befinden meiner Mutter mußte ich bei meinem nächsten Besuch erfahren. Sie war als Notfall in das Krankenhaus eingewiesen worden, nachdem eine Brotkruste im Hals steckengeblieben war. “Brotkruste ?”, fragte ich verwundert nach. “Danach hat sie immer wieder verlangt, um darauf zu kauen”, wurde mir mitgeteilt, und weiter, “die Tochter, – ihre Schwester, wurde bereits verständigt. Sie wird sich mit dem Krankenhaus in Verbindung setzen.” Ich fragte nach Jörg. Nach kurzer Suche konnte ich von ihm weitere Einzelheiten erfahren. Er hielt meine Hand. “Sie hat der Urschel den Rücken aufgerissen und eine Münze rausgeholt, danach war sie ganz aufgewühlt. Abends schien sie sich beruhigt zu haben und lächelte, fast glücklich, selig könnt’ man sagen.” Er ließ meine Hand los. “Beim Frühstück am nächsten Tag passierte es dann, sie aspirierte, erstickte fast an der Rinde”, fuhr Jörg fort. Das Folgende fiel mir schwer, doch Jörg vertraute ich. “Es mag dir seltsam vorkommen, aber ich habe meine Schwester noch nie gesehen, weiß auch nicht, ob sie von meiner Existenz weiß, – würdest du mir Adresse und Telefonnummer raussuchen und aufschreiben?”, fragte ich und setzte nach, ” bitte, es ist wichtig für mich.” “Mach’ ich, – warte in ihrem Zimmer”, meinte er und verließ mich in Richtung Dienstzimmer.

Die Urschel saß auf der Ablage über dem, nun leeren und frisch bezogenen, Bett, die Münze lag daneben. Ich sollte meine Mutter nie mehr lebend wiedersehen.


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