Als Pi aus der Wolke fiel

Als Pi aus der Wolke fiel

Ich wollte doch nur weiter fliegen…

Gyps saß träge am Rande des widerrechtlich besetzten Horstes in der Felswand und starrte ins Land. Es wurde wieder Zeit, die freien Tage waren zu Ende und die Arbeit rief. Er säuberte sein Gefieder von der letzten Mahlzeit, dehnte genußvoll seine Schwingen, streckte seine Beine und schüttelte die Halskrause zurecht. Ich hatte unten bei den Lehmhütten Quartier bezogen. Gyps segelte in den Innenhof und krächzte vor dem rahmenlosen Fenster, wo ich saß. Ich spielte mit dem Stückchen Stoff, das innen vor der Öffnung hing, zog es an mich und versuchte mich anzuhängen. “Laß’ die Spielereien”, nörgelte der Große. Seine Laune war ungewöhnlich mies, so kannte ich ihn nicht. “Ich muß zurück, Kleiner. Wenn du mitkommen willst, dann mach dich bereit bis die Sonne über den Dattelpalmen steht. ” “Warum so plötzlich?”, fragte ich ihn. Als Antwort kam erst unverständliches Gekrächze und aus seinen Worten, “macht keinen Spaß, … muß sein, Mega braucht mich”, wurde ich auch nicht schlau. Unschlüssig trippelte ich auf der Lehmbrüstung hin und her. In der Veranda, gedeckt mit Schilfmatten, baumelten Weinreben und kletterten an den Querverstrebungen hinüber zur zweiten Stütze. Nein, ich wollte noch nicht mit zu Mega.

Gyps war ohne mich abgeflogen. Ich wollte noch einen kleinen Rundflug zu den Seen im Marschland machen, was nicht ungefährlich war. Bei späterem Licht war das Wasser schlecht zu erkennen. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, ich wußte von dem Verderben das hier auf mich warten könnte. Ein Verderben, das mein Gefieder, auf das ich nun schon sehr stolz war, – verkleben und einhüllen würde. Also lieber wieder zurück zu meiner Behausung. Ein seltsames, leises Geräusch hörte ich, als ich im Hof auf meiner Palme landete. Erst einmal vorsichtig die Lage beäugen, um dann meine Fensterluke zu besetzen. Gyps war nicht hier, keiner der mir hätte helfen können. Wieder hörte ich Geräusche, so als würde jemand Trockenübungen im Fliegen machen. Es klang irgendwie nach einem Artgenossen, auch ein kaum wahrnehmbares kehliges Geräusch hörte ich nun. Ich machte mich nun doch auf, nach unten, um den buckeligen Lehmboden abzusuchen. Da lag ein weißes Lebewesen, hielt den Schnabel geöffnet und schien zu verdursten. Ich versuchte Wasser zu holen. Mit meinen Schnabel schöpfte ich aus dem Steintrog hinter den Hütten, doch so sehr ich mich auch abmühte, es war zu wenig; das arme Ding !

Es half nichts, ich mußte das weiße Ding zu unserem sprudelnden Wasser bringen. Die offenen Augen sahen matt zu mir, so , als würden sie mit mir sprechen, laß’ gut sein… Wir schafften es nicht an’s Wasser.

Zweimal wurde es noch Nacht, dann kam Gyps zurück. In der Zwischenzeit war ich unermüdlich mit dem Wassertransport beschäftigt. Als ich ihn über uns kreisen sah, wurde ich aufgeregt und gleichzeitig sehr hoffnungsvoll, was das Schicksal unseres aus der Wolke gefallenen Etwas betraf. Gyps landete und stakste auf mich zu, “he, Kleiner, was ist denn das…?” Bevor ich antworten konnte zog Gyps mit seinem Schnabel an den Federn des Unglücksvogel. “Das bißchen Leben wird bald zu Ende sein”, krächzte er und streckte seinen kahlen Hals nach vorne. “.. ist schon fast hinüber.” Dabei lief sein Kopf rot an, ein Zeichen von Ärger. Ich nahm meinen Mut zusammen und bat ihn, mir bei dem Transport an hin zum Wasser zu helfen. Seinen Unmut darüber äußerte er durch heiser keckernde Laute. Ich entdeckte einen Ring an einem der Beinchen mit den Zahlen 3-14. “Eine von den abtrünnigen Tauben, die nie wieder in ihren Schlag finden werden, hach, das bißchen Atem…”, fuhr Gyps mit seinen Feststellungen fort. Ich war zornig und fühlte mich ohnmächtig. Ich begann an 3-14 zu zerren und versuchte sie auf die Beine zu stellen. Es gelang nicht. “So hilf mir doch, verdammt!”, schrie ich. Das machte augenscheinlich Eindruck und Gyps drängte mich zur Seite, “weg da Kleiner, das wird nichts mit der da, aber ich helfe dir.” Er hob den kleinen jämmerlichen Haufen mit seinem starken Schnabel hoch und setzte ihn kurz danach an den steinernen Wassertrog hinter den Hütten. “Danke”, sagte ich kurz angebunden. Der Name 3-14 gefiel mir nicht besonders gut für eine Taube. ” Dem schlauen und bewanderten Gyps gefiel der Name auch nicht, “braucht sie aber auch nicht mehr, was soll’s, sie kratzt demnächst ohnehin ab”. Ich bettete den Schnabel von 3-14 behutsam in die Wasserpfütze, die sich neben dem Trog durch überlaufendes, klares und frisches Wasser gebildet hatte. Ich wartete gespannt. Sie saugte das Wasser langsam in sich hinein, so wie es offensichtlich alle Tauben tun. Sie saugte Wasser in sich auf, wieder und immer wieder, bis sie erschöpft war.

Die Tage vergingen und mit meiner Hilfe kam Pi allmählich wieder zu Kräften. Sie hatte uns ihren Namen gesagt, doch was sie erlebt hatte, konnte sie, wegen wiederkehrender Schwächeanfälle, noch nicht berichten. Gyps beobachtete das alles argwöhnisch und verhielt sich wortkarg. Er fühlte sich in seiner Einschätzung getäuscht und das mißfiel ihm. Pi’s Flugübungen reichten gerade einmal aus, um auf die Mauer unter einem Dachvorsprung zu kommen, wo sie gerne hockte. Ein leises Gurren war dann zu vernehmen, wenn sie sich schlafend entspannen konnte. Ihr weißes Federkleid gab mir Rätsel auf. Als ehemalige Ringeltaube, wie sie von sich behauptete, war das mehr als ungewöhnlich. Die Federn waren brüchig und wuchsen kaum nach. War sie doch zu sehr krank, hatte Gyps recht, wenn er auf ihr Ende wartete? Er wollte dann für Ordnung sorgen. Wie das zu verstehen war, mochte ich mir als Veganer nicht vorstellen. Ich schüttelte mich vor Grauen, doch er machte doch auch nur seine Arbeit. Totes bereitete er für sich und für andere auf, die dann davon leben konnten. Diese Taube war doch so ein Gar-nichts, so klein, davon würde Gyps doch nichts mit seinem Schnabel heraushauen? Nein, das würde er nicht machen. Ich war froh, als sich Gyps wieder verabschiedete um seiner Arbeit nachzugehen. Pi erholte sich zusehend, doch sie blieb müde und die Schwingen waren kraftlos. Ich wartete noch immer auf ihre Geschichte, auf die Geschichte ihres Fluges hierher zu uns. Ich sollte sie bald erfahren.

Und weiter geht’s auf www.weltenquerung.de/wie-pi-zu-ihren-bleichen-federn-kam

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