Afrika hautnah-1994

Afrika hautnah-1994

Dar es Salaam und «Die Strudelhofstiege»

«Die Strudelhofstiege», eine Beschreibung der Wiener Gesellschaft in der Zeit von 1910-1925 von Heimito von Doderer, – das klingt bizarr. Wie kam ich zu diesem Lesestoff? 

Das Goetheinstitut in Dar es Salaam hatte einen Bücherflohmarkt veranstaltet und das umfangreiche Werk, 900 Seiten, aussortiert. Viel zu lesen in den gut zwei Wochen, die uns noch bis zum Abflug bleiben sollten.

Im Y.W.C.A., neben dem Eingang hing ein Bild von Papst Johannes Paul II., waren wir untergekommen. Albrecht und ich waren damals noch nicht verheiratet. Unter den strengen Augen der Rezeptionistin, einer Nonne, versuchte ich mich unsichtbar zu machen. Insgeheim versprach ich mir zu heiraten und auch seinen Namen anzunehmen… Bei jedem Kontakt wollte sie unsere Pässe sehen mit den unterschiedlichen Namen. Sie blinzelte und dann funkelten ihre Augen hinter ihrer Brille, aber sie sagte kein Wort. Wir durften bleiben, nochmals für eine Nacht. Jeden Tag wiederholte sich dieses Prozedere. Unsere Reisekasse leerte sich zunehmend und wir waren froh hier günstig zu wohnen, zu essen und das Wäschewaschen erledigen zu können. Letzteres machte ich per Hand und, natürlich, kaltem Wasser im Hinterhaus. Über eine Außentreppe gelangte man auf eine Dachterrasse, wo die Wäsche trocknen konnte.

Eine Woche wollten wir nördlich von Dar es Salaam am Indischen Ozean verbringen. Laut Polyglott hatten wir uns für Silversands an den Stränden von Dar-Kunduchi entschieden. Mit einem Shuttletaxi kamen wir dort an. Nach unserer Besichtigung der Unterkunft vertrauten wir dann doch dem Fahrer, der uns Rungwe Oceanic empfohlen hatte. Kurze Zeit später trafen wir dann dort ein und wollten auch bleiben.

Chips and chicken, and chicken and chips….

Die Tage verstrichen ereignislos und ich konnte meine Eindrücke der letzten Wochen verarbeiten. Ich las und sah dann wieder auf’s Meer hinaus. Nachmittags gingen wir auf ein Safari Lager Beer den Strand entlang in das Bahari Beach Hotel. Dieses sehr gute Hotel mit internationalem Publikum hatte für die Crews von Swiss Air und KLM Strandabschnitte reserviert. Bei Einbruch der Dunkelheit versuchten wir in unserer Unterkunft zu sein. Aufgestellte Schilder warnten vor Strandräubern. Im Speiseraum faszinierten mich ehemals weiße Tischdecken und das Angebot von Chips und Chicken, das täglich nur in der Abfolge wechselte. Der quasimodoähnliche Kellner wirkte erst abschreckend auf mich, aber seine Herzlichkeit und Freude über uns Gäste konnte ich nach dem dritten Tag erwidern. Der Generator fiel des öfteren aus, ein neuer war angeblich in Uganda bestellt. Die Matratzen in unserem Bungalow waren muffig, feucht und die Affen machten auf dem Blechdach oft Krach. Am 21. Juni fuhren wir wieder nach Dar es Salaam zurück.

Finanziell auf Gedeih und Verderb in Dar es Salaam

Wir wurden wieder im YWCA aufgenommen und machten Kassensturz. Ein Bankbesuch stand an. Albrecht sollte mit seiner Mastercard unseren Kontostand aufbessern. Bankomaten waren damals im Land noch unbekannt, darüber waren wir informiert. In der ersten Bank hatte Albrecht keinen Erfolg, nach dem vierten Versuch war klar: wir bekommen kein Geld. Sansibar wurde gleich von unserer Liste gestrichen, dort wollten wir eigentlich einige Tage verbringen. Wir hätten dafür auch jene US$ benötigt, die wir bereits in Mikumi ausgegeben hatten. So verbrachten wir die Tage mit langen Spaziergängen in der Stadt und auch darüber hinaus. Vorbei an den Botschaftsvillen wanderten wir in die Oysterbay, trieben uns am Hafen herum und drehten jeden Shilling um. Das Essen in unserer Herberge machte uns satt, doch jeder Tag war unsicher und jede weitere Übernachtung fraglich. Unser Aufenthalt wurde von der gestrengen Rezeptionistin immer nur für einen Tag festgelegt mit laufender Paßkontrolle. Wir suchten nach Alternativen. Im Kilimajaro Hotel könnten wir mit Mastercard bezahlen, im äußersten Notfall. Zwei kleinere Hotel waren ebenfalls in unsere Auswahl gekommen, jedoch ließen diese keinerlei finanziellen Spielraum mehr zu. Der Bierkonsum war beschränkt auf ein Safari Lager abends. Meist war dies nach dem Essen in unserer Unterkunft. Wir gingen anschließend in das nahe gelegene Agiphotel, wo die TV-Übertragungen der Fußballweltmeisterschaft zu sehen waren. Am Dachgarten hatten sich auch viele andere Gäste, vorwiegend Ausländer, eingefunden.

In der Maktaba Street, wo wir täglich unterwegs waren, saß meist ein junger Mann, unterschenkelamputiert, mit Leprageschwüren und nur mit einer Short bekleidet. Oft sah ich in den Straßen von Lepra gezeichnete Menschen, aber dieser Mann berührte mich besonders. Ich schwatzte Albrecht ein T-shirt mit Pumaaufdruck ab, um es dem Mann am Straßenrand zu geben. Unauffällig, im Vorbeigehen, legte ich es nahe an seinem Körper ab. Als wir auf dem Nachhauseweg nach ihm sahen, hatte er ein T-shirt an, aber ohne Pumaaufdruck. Es war ausgetauscht worden, mit oder ohne seine Zustimmung, wie auch immer.

Auf den Straßen wurden Waren angeboten, darunter Unmengen von verschiedenfarbenen Plastikbeuteln, einzelne Socken und auch ebensolche Schuhe auf Wühltischkarren…

Im Indischen Viertel beeindruckten die weiß getünchten Bauten, auch der islamische Einfluß wurde sichtbar. Vor einer Bäckerei mit langer Warteschlange kaufte ich mehrfach , trotz Sparmaßnahme, gefüllte Teigtaschen, die wunderbar schmeckten. Am letzten Sonntag besuchten wir einen Gottesdienst in der Lutheran Centre Church, die direkt am Hafen lag. Alle Türen standen offen, Verkehrslärm, Schiffssirenen und andere Hafengeräusche drangen ins Innere. Die Kirche war gut besucht und es wurde gelacht, geklatscht und gesungen. Ein Bischof wurde begrüßt. Ein unvergeßliches Erlebnis und nicht vergleichbar mit den meist sehr ernsten Gottesdiensten in Europa.

Die letzten beiden Nächte wurden en bloc von unserer Rezeptionistin genehmigt. Für die Ausreise hatten wir bereits unsere letzten 20.- US$ zurückgelegt, um die Flughafengebühren bezahlen zu können. Der Flug war im KLM-Office bestätigt worden und wir waren bereit zurückzufliegen. Trotz vieler Ungewißheiten im Vorfeld und Unkenrufen von Freunden und Verwandten hatten wir diese Reise gewagt. Alles bestanden, alles gut, das war mein Fazit am Flughafen. Albrecht kam vom Checkin zurück und hielt die Dollarscheine in der Hand, ein Zehner, ein Fünfer und fünf Einer. Ein Einer hatte einen Fehler, er war geklebt und war nicht angenommen worden. Nochmals kletterte mein Puls hoch, wie so oft auf dieser Reise. Wir hatten absolut kein Geld mehr, geschweige denn US-Dollars. Albrecht klapperte die Läden im Terminal ab, und endlich, einer der Händler erbarmte sich und wechselte den invaliden Schein in einen unversehrten aus.

Dem Heimflug stand nichts mehr im Wege. Die afrikanischen Geldscheine mit ihrem intensiven Geruch zwangen Albrecht, sich in Amsterdam ein neues Portemonnaie zu kaufen. Bezahlen konnte er mit Mastercard.

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